„Digitale Partizipation“?

Die Soziale Arbeit und die Magie einer Redewendung

Schillernd, irgendwie vielversprechend und doch eine Nullbotschaft ist das Leitmotiv der „Digitalen Partizipation“. Denn Partizipation meint ein soziales Geschehen, meint gesellschaftliche Teilhabe- und Teilnahmechancen (unter sich verändernden Bedingungen). Digitalisierung bezeichnet (aus einer soziologischen Sicht) die Technologiegetriebenheit sozialer Entwicklungen. Akteure der Sozialen Arbeit bringen die Magie der „Digitalen Teilhabe“ oft in die Diskussion ein. Dabei dominiert die Frage, wie Partizipation bei der Nutzung informatischer Mittel ermöglicht bzw. verbessert werden kann. Nach meinem Dafürhalten ginge es jedoch mindestens so sehr um Partizipationschancen in Entwicklungs- und Distributionsbereichen. Anders als zum Beispiel im Bildungswesen sind diese im Kontext der Sozialen Arbeit weitgehend abgedunkelt. So meine vorläufige Analyse nach punktueller (nicht systematischer) Sichtung entsprechender Threads.

Gerade bei Entwicklungs- und Distributionsprozessen Communities mitzuentwickeln, ist ein Prinzip der Open-Source-Bewegung, wobei ich damit ein breites Feld unterschiedlicher Initiativen adressiere. Der Bildungsbereich hat dies (teilweise) erkannt, entsprechend entstehen im Zuge eines erweiterten Partizipationsverständnisses immer wieder vielversprechende Projekte.

Wie seht ihr das? Teilt ihr meine Einschätzung (teilweise)? Was sind die Gründe für diese unterschiedlichen Entwicklungen in Bildung und Sozialer Arbeit? Diskussion via Mastodon oder Twitter und vor allem am Event zur Sozialen Arbeit (3.3.) erwünscht…

Unlinked References

Kaum ein Bereich des Wissensmanagements hat sich in den letzten Jahren derart stark verändert, wie das Personal Knowledge Management (PKM). In diesem Wandlungsprozess unterscheide ich vier Generationen. Hier die Notiz aus meinem „Wissensgarten“ der vierten Generation:

  • Generation 1: Papiernotizen
    • „gelbe Zettelchen am Kühlschrank“ 😉
  • Generation 2: File-Systeme
    • Verzeichnisse
      • Unterverzeichnisse
    • Tools
      • z.B. „Desktop“-Suchmaschinen (z.B. Google Desktop, vor rund zehn Jahren eingestellt)
  • Generation 3: Container-Systeme
    • Abbildung der File-Systeme in neuen Design-Metaphern:
      • Notizbücher
      • Notizstapel usw.
    • Tools
      • z. B. OneNote, Evernote usw.
  • Generation 4: Wissenslandschaften
    • auf Vernetzung hin angelegte Funktionen
      • Wissensknoten, Hubs
        • Knowledge Graph
      • Bidirectional Links
        • Linked References
        • Unlinked References
      • Verschränkung von Notizen
        • Transclusion
    • Tools

Kurztipp: „Ethnomethodologie reloaded“

Die beiden Soziologen Jörg R. Bergmann und Christian Meyer haben das Buch „Ethnomethodologie reloaded“ als Herausgeber aufgelegt. Die Beiträge widmen sich der Frage, wie das Programm der Ethnomethodologie angesichts einer veränderten Lebenswelt neu gedeutet werden kann. Sie schaffen Anschlussmöglichkeiten für aktuelle Fragen, die sich an eine Soziologie des mittleren Radius stellen.

Der Text ist Open Access und bei Transcript im September 2021 erschienen. Er ist frei zugänglich (PDF).

Fachbasiertes Schreiben

Nächste Woche starte ich mit dem Seminar Fachbasiertes Schreiben, 2. Staffel (ausgebucht). Schwerpunkte sind:

  • Fragestellung, Recherche-Methoden, Verarbeitung (von der Notiz zur „Wissenslandschaft“)
  • Schreibprozess und Textsorten
  • Struktur, Aufbau und Gliederung
  • Dramaturgie des Argumentierens
  • Sprachspiele und Stilistik
  • Quellen und Rechte

Bei den Textsorten wird hier zwischen journalistischen, fachbasierten und wissenschaftlichen Texten unterschieden. Dort, wo es um die Verarbeitung des erarbeiteten Materials geht (erster Punkt), arbeite ich mit meinen Modell „Wissenslandschaften pflegen„. Wir nutzen auch experimentelle Settings, üben, uns am Widerstand des Textes zu entwickeln…

Gespräch mit Karin Morgenthaler

Karin Morgenthaler ist die Betula-Bloggerin. Das Betula ist eine sozialpädagogische Einrichtung am Bodensee, gegründet von den beiden Pionieren der Ostschweizer Sozialpädagogik, Stefan Ribler und Christian Brönimann. Stefan Ribler ist überdies in der Sozialinformatik tätig, gehört zu den ersten Absolventen des Masterstudiums Social Informatics an der FHS St. Gallen.

Im Zuge einer Interview-Serie hat Karin Morgenthaler, langjährige Betula-Mitarbeiterin, ein Gespräch mit mir geführt. Im Gespräch geht es um Fragen der Sozialen Arbeit, aber auch um mein Lehr-Lern-Verständnis.

Ich verstehe mich weniger als Dozent, dann als Arrangeur von Lernprozessen.

Zum Blog-Artikel (als PDF)

„Du stirbst nur dreimal“

Im Rahmen von Palliative Ostschweiz gestaltete ich am 3. Juni das Webinar „Du stirbst nur dreimal“. In einer Art Abstract habe ich nun Schwerpunkte meines Inputs zusammengefasst: siehe PDF-Abstract

Die gesamte Veranstaltung war inspirierend. Ich habe von den anderen Vortragenden Wichtiges gelernt. Vor allem wurde für mich an diesem Tag erlebbar, wie stark die Pflegefachkräfte durch die Corona-Krise belastet und überbelastet sind. Mein Respekt für das enorme Engagement.

Wissenslandschaften pflegen

4 Schritte zur Pflege von Wissenslandschaften – Von Reto Eugster

Handwerklich gesehen bedeutet Wissenschaft zu einem wesentlichen Teil, Wissen (*) zu verarbeiten und im schreibenden Denken weiterzuentwickeln. Schreiben wird zum Instrument des Denkens.

Wenn nun Wissenschaft Wissensaneignung bedeutet, stellt sich die „handwerkliche“ Frage: Wie kann Wissensarbeit organisiert werden? Wie lassen sich Literaturen (unterschiedlichen Typs) rekonstruieren?

Wenig ergiebig ist das Kleben, Sammeln, Archivieren usw. von Notizen. Diese Erfahrung werden die meisten hinter sich haben.

Vielmehr geht es darum, „Wissenslandschaften“ zu gestalten, Neues einzupflegen: zu verorten. Die „handwerkliche“ Seite dieses Prozesses kann wie folgt systematisiert (vereinfacht dargestellt) werden, und zwar in vier Schritten, Wir haben dieses Modell im Rahmen unserer Textwerkstatt wissenschaftliches Schreiben (Lerngemeinschaft OS) entwickelt:

In einem ersten Schritt ist es wichtig, vorgängig Fragen an den Text zu formulieren. Dabei kommt es zur Selbstvergewisserung bzw. zur Vergewisserung des Vorverständnisses. Dieser erste Schritt schafft die Voraussetzung, um sich vom Text überraschen zu lassen. Die Abweichung von der Erwartungen wird deutlich.

Zweiter Schritt: Erarbeitung von Notizen zum Text in drei Dimensionen; a) Referenzdaten (Metadaten), b) inhaltliche Aspekte, c) „Evergreens“. Damit sind Textaussagen gemeint, die über den Kontext der verarbeiteten Literatur hinaus bedeutsam sein können.

Dritter Schritt: Die Schritte zwei und drei sind praktisch kaum zu trennen. Denn während des Erfassens – und dies ist die Pointe – wird der neue Eintrag kontextualisiert, in der bestehenden Wissenslandschaft verortet. Dies bedeutet: Notizen werden verlinkt, Blöcke (Notizabschnitte) ineinander verschachtelt, Hub Pages (Einstiegstore in die Wissenslandschaft) entstehen, Tags verbinden quer über alle anderen Kategorisierungen hinweg Aussagen miteinander. Dabei hilft in der Regel der heute (fast schon) übliche Knowledge Graph. Dieser ermöglicht die Visualisierung von Verknüpfungen, wobei gefiltert und gruppiert werden kann (siehe z.B. www.obsidian.md)

Vierter Schritt: Immer dann, wenn ich einer Notiz später lesend „begegne“, überlege ich mir, ob ich mit zeitlichem Abstand nun in der Lage bin, diese a) zu ergänzen, b) zu paraphrasieren und/oder c) zu kommentieren. Vor allem dem Kommentieren kommt eine wichtige Funktion zu. Die Notiz wird sich – in diesem vierten Schritt – nach und nach weiterentwickeln. Dies trägt wesentlich zum Prozess der Wissensaneignung bei. Wissensaneignung kommt nicht über das blosse Zusammenfassen, sondern als ständiger aktiver Prozess zustande.

Es wird klar geworden sein, dass bei diesem Workflow kein Tool hilfreich ist, das wie ein elektronischer „Aktenschrank“ funktioniert. Ein Beispiel dafür wäre Evernote. Es braucht Hilfsmittel der neuen Generation, wie zum Beispiel Obsidian, Roam Research, RemNote, Zettlr (oder noch in sehr frühem Stadium Athens Research und Logseq).

Wir setzen dieses Modell in verschiedenen Zusammenhängen ein, unter anderem in einem Masterprogramm. Zudem bieten wir das Seminar Textwerkstatt wissenschaftliches Schreiben an (zurzeit ausgebucht).

(*) Es ist mir klar, dass der Wissensbegriff hier nicht mit der ansonsten nötigen Begriffspräzisierung verwendet wird.

Ich habe ein Paradies, aber mir fehlen die Engel*

(2014) Monika Wohler, langjährige Leiterin des Fachbereichs Soziale Arbeit an der FHS St. Gallen (und Vorgängerschulen), geht in Pension. Sie hat die Studiengänge der Sozialen Arbeit auch inhaltlich mitgeprägt, sich mit viel Engagement für deren permanente Weiterentwicklung eingesetzt. Zu Ihrer Verabschiedung haben Freundinnen und Freunde eine Buchpublikation erarbeitet.

Mit meinem Text „Ich habe ein Paradies, aber mir fehlen die Engel“ bin ich beteiligt. Worum geht es in meinem Artikel?

Monika Wohler und ich haben während rund zwölf Jahren mit viel Freude Beratungsmethodik gelehrt. Dabei haben wir mit einem fiktiven Fallbeispiel gearbeitet, mit dem „Fall Carlucci“. Viele ehemalige Studierende erinnern sich noch heute an diese Fallstudie.

In meinem Text nun kommt die Hauptfigur unseres fiktiven Falls zu Wort. Die Perspektive ist gedreht: Nun redet die Kunstfigur, der fiktive Herr Carlucci. Es ist seine Stunde. Wie hat er all die Jahre als Fallbeispiel erlebt? Wie fühlt es sich an, Fallbeispiel zu sein?

Viel Spass bei diesem Text, dessen Pointe ganz und gar nicht spassig gemeint ist.

(*) Zitat Anton Tschechow

Ich habe ein Paradies, aber mir fehlen die Engel, Buchartikel (PDF)

Wissensaneignung: Wege und Umwege

Bücher, Aufsätze, Referate: Wir fassen zusammen, merken uns das Wichtigste, speichern Notizen in irgendwelchen „Wolken“. Längst haben wir uns damit abgefunden, mit einem unüberschaubaren Stapel aus Notizen zu leben oder wenigstens zu funktionieren. Ein Beitrag über lernwirksame Strategien im Umgang mit dieser Situation und über ein neues Tool für das Personal Knowledge Management, Obsidian.md.

Update: Direkt zum Obsidian-Video, eine Starthilfe

Von Reto Eugster

Das Problem kennen vermutlich viele, die sich mit Wissensarbeit beschäftigen. Man liest Texte oder hört Referate und will sich die „wichtigsten“ Inhalte merken. Also beginnt man, Zusammenfassungen zu schreiben. In der Regel werden damit zwei Ziele verfolgt:

  • Die bemerkenswerten Inhalte sollen einen künftig wieder zur Verfügung stehen, und zwar genau dann, wenn man sie braucht.
  • Der Tätigkeit des Zusammenfassens wird ein Lerneffekt zugeschrieben.

Doch beide Ziele verweisen ins Zufällige und sind enttäuschungsanfällig. Erstens ist es schwierig, sich so zu organisieren, dass einem der gewünschte Inhalt jeweils zeitlich und sachlich punktgenau zur Verfügung steht. Wenn dies gelingt, gelingt es häufig zufällig, ist aber keinem überzeugenden methodischen Setting geschuldet. Die permanente „Flutung“ mit Wissenspartikeln in der Wissensarbeit überfordert viele, jedenfalls mich. Zweitens schreiben Lerntheorien dem „linearen Zusammenfassen“ kaum Lernwirksamkeit zu.

Weiterlesen „Wissensaneignung: Wege und Umwege“