Hyperrealität

„Heute kippt das ganze System in die Unbestimmtheit, jegliche Realität wird von der Hyperrealität des Codes und der Simulation aufgesogen.“ (9)

„Agonie des Realen“

„Die Moderne ist keine Umwertung aller Werte, sondern eine Austauschbarkeit aller Werte… “ (162)

Jean Baudrillards Buch Der symbolische Tausch und der Tod ist 1976 erschienen und zählt zu seinen bedeutenden Werken. Es besteht aus Essays, die sich lose aufeinander beziehen. Bereits in seiner Dissertaton 1968 – Das System der Dinge (Le Système des objets) – legte Baudrillard die Basis für seine Konzepte des Hyperrealen. Die Simulationsgesellschaft, geprägt durch die dramatische Fetischisierung der Zeichen – oder mit Martin Horacek (2007, 144) präziser formuliert:

„Der Warencharakter der industriell erzeugten Produkte wird für Baudrillard abgelöst von einer Fetischisierung der Objekte in einem selbstreferentiellen Zeichenuniversum.“

Baudrillard, schillernde Persönlichkeit, streitbar und unerschrocken, ist 2007 in Paris gestorben. Er wurde 78 Jahre alt. Josef Rauscher über „Requiem für die Medien“, vielleicht generell auf Baudrillard anwendbar:

„Unlesbar, wenn man nicht hartnäckig gegen ihn mitdenkt“.

Friedrich Kittler

Einer der wichtigsten – wie soll ich sagen? – „Mentoren“ für mich, der mein Denken stark beeinflusst hat, ist Friedrich Kittler. Ab 1993 war er Professor für Ästhetik und Medientheorie („Geschichte der Medien“) an der Humboldt Universität in Berlin. Er starb am 18. Oktober 2011 in Berlin, heute ist sein Todestag. Friedrich Kittler war „einer der einflussreichsten und bedeutendsten deutschen Medientheoretiker und Begründer der Berliner Schule der Medienwissenschaft„, wie die Universität im Nachruf schreibt.

Sein „Dracula-Text“ beispielsweise ist für mich eine Inspirationsquelle geblieben. Aus diesem (Seite 16) stammt das Wort:

„Das Wort der Liebe wird gesendet, wird empfangen, wird von den Empfängern wieder gesendet, vom Sender wieder empfangen undsoweiter undsoweiter, bis die Regelschleifenverstärkung jenen Wert erreicht, der in der Wechselstromtheorie Schwingbedingung und im kurrenten Diskurs Liebe heißt.“

Gerade dort, wo Kittlers Aussagen verwegen wirken, erreichen sie ihre Qualität. Oder um ihn aus einer Vorlesung zu zitieren: „Man muss vieles härter denken…“

Max Weber

„Es ist durchaus wahr und eine (…) Grundtatsache aller Gesichte, dass das schliessliche Resultat politischen Handelns oft, nein: geradezu regelmässig, in völlig unadäquatem, oft in geradezu paradoxem Verhältnis zu seinem ursprünglichen Sinn steht.“

Max Weber, Politik als Beruf, 1919 (zitiert von Silvano Moekli, Politologe, beim ehemaligen blauben Vogel)

Reisen

Ethnografische Perspektive?

Vor vielen Jahren bin ich für längere Zeit (vielleicht passt auch: ziellos) gegen Osten gereist. Mit Ruck- und Schlafsack. Bereits damals habe ich das Reisen – nach einer Euphorie des Aufbrechens – als schwierig erlebt, als zu schwierig für mich. Aber ohne zu reisen, kann ich mir mein Leben nicht vorstellen.

Das touristische Reisen orientiert sich am Konzept des Sehenswürdigen. Lange Zeit schien mir dies plausible Voraussetzung für eine Reiseanstrengung zu sein. Aber was hat jemand von Berlin gesehen, der es vor das Brandenburger Tor schafft oder am Checkpoint Charlie ein Cap „BERLIN, ICK LIEB DIR“ kauft? Das sind für mich keine bloss rhetorischen Fragen, auch wenn sie so wirken mögen.

Seit einiger Zeit versuche ich, mit einer ethnografischen Perspektive zu reisen: Die bereisten Orte aus den Praktiken und Routinen heraus zu verstehen, wie sie sich im Alltag der Menschen, die dort leben, beobachten lassen. Dies bedeutet, den Vorformatierungen (wie dem Konzept des Sehenswürdigen) zu misstrauen. Im Zuge dessen ist auch die Entwicklung hin zum Amoralischen gefordert (was nicht unmoralisch meint).

Auch eine solche Herangehensweise muss schliesslich im Prekären enden. Aber bereits das Ringen um den gewendeten Blick hat bei mir die Qualität des Reisens verändert.

Inzwischen nenne ich eine reichhaltige Reisesammlung alltagsbanaler Microgeschichten stolz mein Eigenes. Ständig kommen neue hinzu. Sie durchwühlen meinen nächtlichen Halbschlaf – und entschwinden schneller als mir lieb ist aus meinem Gedächtnis. Sie sind nicht wiederholbar. Wer sie zu wiederholen versucht, macht sie kaputt.

Hyperrealität

Zum Medientheoretiker Jean Baudrillard

„Heute kippt das ganze System in die Unbestimmtheit, jegliche Realität wird von der Hyperrealität des Codes und der Simulation aufgesogen.“ (Seite 9)

„Die Moderne ist keine Umwertung aller Werte, sondern eine Austauschbarkeit aller Werte, ihre Kombinatorik und ihre Ambiguität.“ (Seite 162)

Baudrillards Buch Der symbolische Tausch und der Tod ist 1976 erschienen und zählt zu seinen bedeutenden Werken. Es besteht aus Essays, die sich lose aufeinander beziehen. Bereits in seiner Dissertaton 1968 – Das System der Dinge (Le Système des objets) – legte Baudrillard die Basis für seine Konzepte des Hyperrealen. Baudrillard, schillernde Persönlichkeit, streitbar und unerschrocken, ist 2007 in Paris gestorben. Er wurde 78 Jahre alt.

Bargeldlos, ja aber…

Von den “Kreditkarten-Lobbyisten” billiger Art gibt im Horizont der Social Media einige. Sie zitieren zurzeit prominent eine aktuelle Studie (2024) der Postbank zur bargeldlosen Zahlung.

Erstens ist der Auftraggeber selber lobbyierend. Dies lediglich als Basisfaktor, der bei wissenschaftlichen Ansprüchen eine Rolle spielt. Zweitens wird oft nur der erste Teil der Studie zitiert: 66% zahlen bargeldlos.

Aber die Studie hat einen zweiten Teil: Nur 32 Prozent befürworten eine Abschaffung des Bargeldes. Und es gibt eine Generationenthematik, die zu beachten wäre: Die Nutzungsdifferenz bei bargeldlosen Zahlungsoptionen, die sich entlang von Generationengrenzen ausgeprägt zeigt, ist entscheidender Faktor bei der Gesamtbeurteilung der Entwicklung (des Trends).

Dies alles spricht nicht gegen bargeldlose Zahlung. Aber Lobbyismus soll als solcher gekennzeichnet werden. Ich mag die Redlichkeit faktenbasierten Argumentierens.

Positionen

In dieser Woche unterrichte ich wieder im Lehrgang Medienpädagogik (CAS, Fachhochschule). Seit rund zehn Jahren bin ich im Dozierendenteam dabei. Im Rahmen meines Seminars führe ich in drei grundlegende medienpädagogische Positionen ein, um aktuelle Debatten einordnen zu können:

  • Position 1: Schutzräume errichten
  • Position 2: Resilienz stärken und mit Eigenentwicklung rechnen
  • Position 3: Medienentwicklungen und -ereignisse als pädagogische Anlässe nutzen: dialogisch-mediensensitive Pädagogik.

In politischen Debatten wird oft Position 1 vertreten. Es soll gefiltert werden, wo immer möglich. Diese Position ist deshalb politisch ergiebig, weil sie 1) alltagslogisch umstandslos einzuleuchten scheint und 2) stets „die anderen“ adressiert: Plattformen, Messenger-Anbieter usw. Zwei Kriterien, welche den politischen Diskurs als solchen ausweisen. Es soll simpel sein und die anderen mit Handlungserwartungen adressieren.

Doch das Konzept des „Schutzraums“ ist allein deshalb oft problematisch, weil es kaum zu verwirklichen ist und den Anforderungen, die sich an Pädagogik stellen, nicht gerecht werden kann. Dabei stehen nicht primär technische Probleme im Vordergrund, obwohl sie nicht zu unterschätzen sind, sondern soziale. In der Schule beispielsweise wird die Unterschiedlichkeit der elterlichen Zugangsregelungen „zum Problem“, sobald versucht wird, Position 1 zu realisieren. Oder wie meine Kollegin sagt, die als Lehrerin tätig ist: Einer/eine in der Klasse hat immer den „Schlüssel“ zur Türe in den „Abgrund“.

Dies bedeutet: Es bräuchte eine mediensensitive Pädagogik, die mit Medienmilieus rechnet und mit Kompetenzsymmetrien zwischen Jugendlichen und pädagogischen Akteuren. Vom politischen Personal kann selten Unterstützung erwartet werden, dies zeigen konkrete Erfahrungen der letzten Jahre. Das Anliegen muss meines Erachtens sein, Kompetenzen hin zu einer mediensensitiven Pädagogik zu entwickeln (nicht bloss zu einer „Medienpädagogik“) , die zu mehr fähig ist als zu: „Ich filtere, also bin ich“.

Milena Jesenská

Heute hat Milena Jesenská Geburtstag (1896). Sie war Autorin und Journalistin, bekannt geworden ist sie auch als Kafkas Freundin („Briefe an Milena“). Sie war Franz Kafkas „zweite grosse Liebe“, wie es beim Text über sie im Kafka-Museum heisst. Ihr Vater hat sie wegen eines Liebesverhältnisses mit dem jüdischen Bohemien Ernst Polak in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Aus der Klinik entlassen, heiratete sie Polak (Quelle: Wikipedia, 10.8.2023) Zur Zeit, als sich die Ehe zu Polak „aufzulösen“ begann, lernte sie Kafka kennen.

„Wenn man zwei oder drei Menschen hat, aber was sage ich denn, wenn man nur einen einzigen Menschen hat, dem gegenüber man schwach, armselig und zerknirscht sein darf und der einem dafür nicht weh tut, dann ist man reich.“

Sie kämpfte gegen die Nazis und wurde 1939 nach Ravensbrück verschleppt. Dort starb sie am 17.5.1944.