Autor: Vorinstanz
Herr und Frau Müller
Die „Müller-Sendung“ des Schweizer Fernsehens ist zu einem Meilenstein der SRF-Geschichte geworden. Wir verwenden sie übrigens für Lehrzwecke in der Medientheorie.
Mitten in den Jugendunruhen der 80er Jahre nehmen eine Aktivistin und ein Aktivist der Jugendbewegung an der TV-Diskussion teil. Zuvor gab es Ausschreitungen und einen Polizeieinsatz, der unterschiedlich bewertet wurde. Die Auseinandersetzung entbrannte einmal mehr um das AJZ, um das Autonome Jugendzentrum Zürich. Dieses war Kernpunkt der Zürcher Jugendbewegung.
Die Aktivistin und der Aktivist schlüpften in die Rolle der „Müllers“ und karikieren die Gegenseite. Die Polizei habe zu kleine Gummigeschosse verwendet, argumentieren sie. „Weshalb nicht einfach Schliessung des AJZ?“ Es kommt zu grotesken Szenen während der Sendung. Überfordert ist nicht nur der Moderator, für den man zuweilen Mitleid entwickeln kann.
Die Sendung wird schliesslich „gesprengt“, vorzeitig abgebrochen. Die Boulevard-Zeitung BLICK nennt in der Folge die bürgerlichen Namen der „Müllers“ und ermöglicht damit die Hetzjagd auf die beiden. Vor allem die Frau ist davon betroffen.
„Herr Müller“, Fredy Meier, ist in diesen Tagen im Alter von 67 Jahren gestorben. Der eine Medienevent hat seine Biografie geprägt.
Kleines Glück
Warum erreichen „Umweltanliegen“ zwar rhetorisch und leitmotivisch so viel Schwung – und scheitern schliesslich oft vielfältig (und vor allem: erwartbar). Der Artikel von Christoph Paret in der FAZ vom gestern (9.5.2023) kann auch als ein Antwortversuch auf diese Frage gelesen werden.
„Die universalisierte Figur des Spiessers, der sich mit seinem kleinen Glück begnügt und dem gewiss nichts ferner liegt, als die Welt zu verändern, könnte sich als die gefährlichste Spezies erweisen…“
Übrigens: Übertitelt ist der Text mit „Wir leben nicht mehr lang“…
Peter Gross gestorben
Peter Gross hatte 1989 bis zu seiner Emeritierung 2006 den Lehrstuhl für Soziologie an der Universität St. Gallen inne. Von 1996 bis 1998 war er Dekan der Volkswirtschaftlichen Abteilung. Mit seinen Arbeiten zur „Multioptionsgesellschaft“ (Buch, 1996 erschienen, 10. Auflage 2005) ist er über den soziologischen Dunstkreis hinaus bekannt geworden. In den Siebziger Jahren engagierte sich Peter Gross während acht Jahren für die Sozialdemokraten im Thurgauer Kantonsrat.
2015 erschien sein „persönlichstes“ Buch: „Ich muss sterben – im Leid die Liebe neu erfahren“. Es beschäftigt sich mit dem Sterben seiner Frau Ursula. 2016 wurde Gross mit dem Grossen Kulturpreis der St. Galler Kulturstiftung ausgezeichnet.
Durch meine Tätigkeit in St. Gallen (FHS St. Gallen) habe ich ihn öfters im direkten Kontakt erlebt. Denke gerne daran zurück.
Grosse Bevormundung
Microsoft erhält den diesjährigen Big-Brother-Award. Eine zweifelhafte Ehre. Ausgezeichnet wird das „Lebenswerk“ von Microsoft, Office 365.
„Microsoft ist eine grosse Bevormundungsmaschine, die uns unserer digitalen Souveränität beraubt…“
Beispielsweise werden User in die hauseigene Cloud gedrängt, aggressiv und mit Ausdauer. Eine Offline-Nutzung ist praktisch unmöglich, die Pesonalisierung kaum zu verhindern.
Meines Erachtens zeigt sich im Fall Microsoft ein dramatisches Versagen des Wettbewerbsrechts. Entbündelung wäre ein Thema, nicht nur bei der Cloud, sondern auch beim Browser usw.
Bourdieus feiner Unterschied
„So macht uns die Soziologie paradoxerweise frei, indem sie uns von der Illusion der Freiheit befreit.“
Bourdieu, 2002 in Paris 71-jährig gestorben, war Soziologe, dessen Werk gewichtig nachwirkt. Er gehört zu den einflussreichsten seines Fachs. Ab 1981 war er Professor am renommierten Collège de France. In dieser Zeit war er zudem als Experte für François Mitterrand tätig. Bourdieu nahm zu politischen Fragen immer wieder Stellung, bereits im Kontext seiner frühen Algerien-Studien.
„Auch kulturelle Güter unterliegen einer Ökonomie, doch verfügt diese über ihre eigene Logik.“
„Geschmack ist nicht etwas Zufälliges und Subjektives im Sinne von: über Geschmack lässt sich nicht streiten, sondern Geschmack bedingt einen bestimmten Lebensstil.“
„Die feinen Unterschiede“ gehört zu den Meilensteinen der Soziologie, insbesondere wegen der theoretisch gerahmten empirischen Perspektive. Bourdieu arbeitete im Verlaufe seiner wissenschaftlichen Karriere mittels qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden. In Erinnerung bleibt er als Soziologe des „feinen Unterschieds“…
Stichworte wie „soziales Feld“, „Kapitalsorten“, „Habitus“ usw. verweisen unter anderem auf sein Werk und gehören heute in das „Lehrprogamm“ unterschiedlicher Fachrichtungen.
Witold Pilecki
Von einem Menschen nur ist bekannt, dass er sich freiwillig ins KZ Auschwitz einschleusen lies: Witold Pilecki. Er organisierte in Auschwitz den Widerstand der Häftlinge und informierte die Aussenwelt über die Gräueltaten. Als Mitglied der „Geheimen Polnischen Armee“ war er für die Organisation des Widerstandes gegen das Nazi-Regime zuständig. Nach 945 Tagen im Lager (Quelle Wikipedia, 26.4.2023) flüchtete er aus Auschwitz. Er wollte die Aufdeckung seiner Mission verhindern. Die Flucht gelang, weil er sich zuvor in einen Aussenbetrieb des Lagers, eine Bäckerei, versetzen lassen konnte.
Auschwitz: „Hier wurden mir die ersten zwei Zähne ausgeschlagen, weil ich das Schild mit meiner Häftlingsnummer in der Hand hielt und nicht zwischen den Zähnen…“ (Quelle MDR-Doku, 17.1.2023)
Nach dem Krieg setzte er sich für die Aufdeckung sowjetischer Gräueltaten ein und wurde schliesslich im sowjetisch besetzten Polen zum Tod verurteilt. Am 25. Mai 1948 würde er hingerichtet. Postum wurde er mehrfach geehrt.
The Document Foundation
The Document Foundation ist eine „unabhängige, selbstverwaltete, leistungsorientierte Einheit, die von einer grossen Gruppe von Befürwortern freier Software in Form einer gemeinnützigen Stiftung nach deutschem Recht gegründet wurde“ (Selbstdefinition). Sie ist eine Art Dach für LibreOffice, der vermutlich bedeutendsten freien Office-Software.
Die Document Foundation wird teilweise von der EU unterstützt, doch die Höhe der finanziellen Zuwendung ist bescheiden.
Nun hat die Document Foundation den Jahresbericht 2022 veröffentlicht. Ein interessanter Einblick in die Schwerpunkte der Tätigkeit.
Cryptomator
Wie können Daten in der Cloud, auf dem Desktop oder dem Smartphone sicher verschlüsselt werden? Das funktioniert mit Cryptomator. Boxcryptor, das andere bekannte Tool für solche Aufgaben, wurde inzwischen von Dropbox übernommen. Doch gerade die Unabhängigkeit von einem Cloud-Anbieter kann hier ein entscheidendes Kriterium sein.
Cryptomator, das freie Software-Tool aus Deutschland, wurde bereits vor Jahren ausgezeichnet und hat sich inzwischen in verschiedenen Anwendungsszenarien bewährt. 2014 ging die erste Beta-Version online, entwickelt von Sebastian Stenzel. Cryptomator ist zu einem wesentlichen Teil spendenfinanziert. Kostenpflichtig sind die Mobiles. Gerade eben ist das Tool bei der Version 1.7 angekommen.
Cryptomator bietet eine „cloud-optimierte verschlüsselte Speicherung von Dateien. Diese können … mit einem Cloud-Anbieter wie Dropbox synchronisiert werden, ohne dass der Anbieter die Daten im Klartext lesen kann.“ (Wikipedia, 27.11.2022)
Cryptomator ist lauffähig mit den Systemen Windows, macOS, Linux, Android und iOS.
20 Jahre WordPress
Eine Erfolgsgeschichte geht so: Matt Mullenweg, der Mann hinter WordPress, wird 40 Jahre alt. WordPress ist Open Source und wird dieses Jahr 20. Mullenweg hat WordPress als Fork von b2 gestartet. Inzwischen wird das Tool weltweit für 42% der Webseiten genutzt und ist Marktführer.
Das Unternehmen, das um WordPress entstanden ist, Automattic, umfasst aktuell rund 2000 Mitarbeitende in 98 Ländern. Tumblr, von David Karp gegründet, gehört seit 2019 ebenfalls zur Automattic-Familie. Und nicht zu vergessen: Die Blog-Plattform wordpress.com wächst seit Jahren kontinuierlich an.
Ich erinnere mich an die ersten, schlichten WordPress-Versionen. Damals bin ich von Movabletype (aktuell bei Version 7 angekommen) zu WordPress umgestiegen, was der engere Freundeskreis der Blogosphäre nicht nachvollziehen konnte.
Mein beruflicher Weg war oft durch Fehleinschätzungen geprägt. Bei WordPress lag ich richtig 😉